Mit Vollgas auf die Königsspitze (3.859m)
Unsere Bergkameraden haben ihren Besteigungsversuch in der gestrigen Nacht abgebrochen. Die Bedingungen an der Königsspitze (italienisch: Gran Zebrù) sind zu gefährlich. Toby und ich versuchen es trotzdem.
Denn Jacopo ist ein anderer Bergführer als der erfahrene und gelassene Richard aus unserer Hochtourenwoche. Der Bruder der Ski-Olympia-Siegerin Deborah Compagnoni ist jung, ambitioniert und mit italienischem Temperament gezeichnet. Das merken wir, als es zum Zustieg geht.
Aus Sicherheitsgründen führt ein Bergführer nur zwei Bergsteiger am Seil. Diese kann er im Falle eines Absturzes halten. Wir sind schon spät dran im Jahr. Die Saison der Besteigung nähert sich dem Ende. Denn es wird zu warm ab Juli. Aber warum die Königsspitze? Sie gehört zu den formschönsten Bergen der Alpen und ist im Gegensatz zum benachbarten Ortler seltener bestiegen.
Früh zur Königsspitze
2:30 Uhr klingelt der Wecker. Ähnlich wie am Elbrus und Kilimanjaro geht es früh zum Gipfel los. Hintergrund sind die schlechter werdenden Bedingungen, wenn die Sonne von Osten auf den Gletscher scheint.
Um 3:15 Uhr verlassen wir die Pizzini-Hütte auf 2.706 m und steigen in hohem Tempo zum Gletscher. In stockfinsterer Nacht stolpern wir über den unebenen Grund.

Beim Erreichen des Eisfeldes legen wir schnell die Steigeisen an und los geht es zur Rinne. Die stellt unsere erste Herausforderung da. Insbesondere die Gefahr von Steinschlag macht diesen Abschnitt gefährlich.
Innerhalb von wenigen Minuten überwinden wir die 100 Höhenmeter der Rinne und stehen auf der ersten Schulter. Jetzt beginnt zunächst flach das nächste Teilstück. Eine Traverse auf dem Gletscher entlang der Felsen. Diese wird immer steiler. Der sulzige Schnee lässt uns kämpfen.
Eisiger Abschnitt mit Fixpunkt
Jetzt trennen uns noch gut 300 Höhenmeter vom Gipfel. Bergführer Jacopo deutet uns zu warten. Eine Eisplatte mit gut 35 Grad Neigung liegt vor uns. Das Risiko abzurutschen, ist bei unserer geringen Erfahrung zu groß. Wir klettern daher nicht als Seilschaft, auch ein Bergführer kann einen Sturz an dieser Stelle in Bewegung nicht halten. Daher benötigt er einen Fixpunkt.
Jacopo steigt vor und sichert uns mit Eisschrauben und Halbmastwurf. Ein Konten, den Toby und ich schon von unseren Alpin-Klettereien kennen.

Wir steigen nach. Es geht überraschend ganz gut, wie sich die Frontalzacken ins Eis krallen. Ich denke immer zu: „Ferse runter!“. Das ist eine ungewöhnliche Bewegung, aber erhöht den Griff im Eis.
Nochmal steigt unser Bergführer vor und sichert unseren Nachstieg an einem Köpfel. Jetzt ist der schwierige Teil geschafft. Über einen flachen Gletscher treffen wir unter dem Gipfel auf eine leichte Felskletterei. Hier kratzen unsere Steigeisen auf dem Fels. Ich fühle mich aber schon viel sicherer als noch vor sechs Tagen.

Der Ausstieg nach dieser Passage führt uns nach links über einen kurzen Grat und dann entlang einer steilen Wechte. Hier sehen wir die Hütte aus dem 1. Weltkrieg. Irre, was die Soldaten damals mit ihrer Ausrüstung geleistet haben. Aber die Bedingungen der Besteigung waren damals besser. Es lag mehr Schnee und die Gipfel waren kälter. Die Steinschlaggefahr war geringer.
Um kurz nach 6 Uhr stehen wir am Gipfelkreuz der Königsspitze. Ein gutes Tempo, das wir vorgelegt haben. Da wir nichts sehen, steigen wir schnell wieder ab.

Abstieg nicht ohne Risiko
Erneut über den Grat mit etwas abschüssigen Tritten und über die Felsen. An der Eispassage sichert uns Jacopo erneut über „seinen“ Köpfel. Er wird uns später sagen, dass das die Regel und weniger die Ausnahme ist. Hier hauen wir unsere Steigeisen und den Pickel in das gefrorene Eis, fühlen uns dabei sicher.
An den Steilstücken geht es rückwärts runter. Links, rechts, Eispickel. Das ist unser Rhythmus. Ab und an rutschen wir im Schnee ab.
Seilschaften kommen uns entgegen. Eine dreht aufgrund der Bedingungen und dem Hinweis von Jacopo um. In der Rinne nehmen wir wegen der Steinschlaggefahr Tempo auf. Schnell runter. Aber das macht mir Spaß.
In wenigen Minuten stehen wir auf dem Gletscher. Jetzt ist es nur noch Wonne. Locker gleiten wir durch den Schnee.
Nach 4:53 Stunden erreichen wir die Pizzini-Hütte. Eine gute Zeit für unser Können. Es gibt ein Bier um 8:30 Uhr. Ziemlich früh. Aber es schmeckt!

Toby und ich sind in der Bewertung dieser Besteigung unsicher. Es war gut zu sehen, wie fit wir für eine derartige schnelle Besteigung sind. Aber der Genuss der Königsspitze blieb auf der Strecke. Wir waren viel zu kurz da und konnten die Natur, aber auch unsere Leistung nicht bewusst wahrnehmen. Wir wissen, dass wir es beim nächsten Mal ruhiger angehen werden.
Schau dir die Bilder in der Galerie an:
Dir gefällt der Blog?
Dann freue ich mich über eine Spende an die German Doctors!
