Solo zum Mont Blanc-Gipfel
Mein Wunsch war in diesem Jahr die Besteigung des Mont Blanc. Da ich zum Klettern in der Gegend war, habe ich gleich alles für die Hochtour eingepackt und bin kurzerhand allein und by Fair Means auf den höchsten Berg der Alpen, und je nach Sichtweise, Europas gestiegen.
Vorbemerkung: Dieser Bericht ist keine Empfehlung für eine eigenständige Tour. Neben den subjektiven Risiken bestehen eine Vielzahl objektiver Gefahren bei der Besteigung des Mont Blanc. Jeder Bergsteiger hat diese abzuwägen und sich bewusst zu entscheiden.
Mein Startpunkt ist der Talort Les Houches. Die Anreise von Annecy recht simpel. Die französische Bahn SNCF steuert den Touristenort in einem Stundentakt an.
Kurzfristig quartiere ich mich in einem Drei-Sterne-Hotel ein. An Zelten war nach der Regenschlacht in Annecy nicht mehr zu denken. Das von einem Freund geliehene Zelt konnte mit seiner Wassersäule von nur 1.200 mm den Urgewalten nicht standhalten. Ich nutze das Hotelzimmer, um meine gesamte Ausrüstung zu trocknen.
Zunächst 2.200 Höhenmeter
Zurück zum Gipfel des Mont Blancs: Morgens um 7:30 Uhr starte ich am Hotel in Les Houches auf rund 1.000 m. Mein Ziel ist das Refuge de Tête Rousse. Dieser Ausgangspunkt der Besteigung liegt auf 3.176 m. Als alter Geizknochen verzichte ich auf jegliche Transportoption und steige die 2.200 m zu Fuß hoch.
Der Beginn der Tour ist nicht zu übersehen. Nach ein paar hundert Metern geht es links eine asphaltierte Straße hoch, die sich irgendwann in einen sehr gut ausgeschilderten Waldweg verwandelt. Vorbei geht es am Lift Bellevue und dann über die Gleise der Zahnradbahn in ein Tal. Wunderschön geht es hier zum Refuge du Nid d’Aigle auf 2.372m. Irgendwann ruf eine Stimme hinter mir: „Monsieur! Monsieur!“ Ich drehe mich um, ein älterer Herr rennt mir mit meinen Croissants hinterher. Die sind mir aus dem Rucksack gefallen. Mein Frühstück! Gerettet!
Zwischenstopp am Nid d’Aigle
Da ich gut 1,5 Stunden schneller als geplant bin, genieße ich einen Kaffee in der Morgensonne am Nid d’Aigle und lese auf großen Schildern die Warnhinweise für den Weg zum Mont Blanc. Die vorgeschriebene Ausrüstung ist im Detail gelistet. Trekkingstöcke sind auch vorgeschrieben. Aber die benutze ich sehr selten und habe die nicht dabei. Genauso wie meinen Klettergurt, der schon in Genf ist. Allein brauche ich den nicht. Angeblich kontrollieren Polizisten die Ausrüstung. Zu diesem Zeitpunkt hoffe ich, dass die Kontrolle nicht zu genau ausfällt.
Allein bin ich hier nicht. Hunderte Touristen haben die Zahnradbahn genommen und belagern die Umgebung. Ab hier müssen alle zu Fuß Richtung Refuge de Tête Rousse weiter. Der Weg ist mit einem roten Schild versehen. Es zeigt die alpine Ernsthaftigkeit an. Der Weg ist sehr gut zu gehen und schlängelt sich zwischen Geröll hoch.
Vor einem kleinen Gletscher stehen „Offizielle“ mit Listen. Sie halten mich an und fragen, ob ich eine Reservierung habe. Natürlich. Denn seit Juni dieses Jahrs ist sie vorgeschrieben (Zum Bericht), um den Mont Blanc zu besteigen. Meine Ausrüstung wird nicht kontrolliert.
Überraschung im Refuge de Tête Rousse
Nach fast genau 5 Stunden, 15 Kilometern und 2.200 Höhenmetern bin ich im Refuge de Tête Rousse angekommen. Es war anstrengend, aber ich fühle mich gut. Das Einchecken birgt eine nette Überraschung: Ich hatte über die Webseite den normalen Preis von 52,50 Euro gebucht. Die Rezeptionistin fragt mich, ob ich einen deutschen DAV-Ausweis habe. Der zählt nämlich und ich zahle nur 26,25 Euro. Darauf gönne ich mir erst einmal ein superleckeres Tiramisu und einen Kaffee – für 10 Euro.
Danach frage ich nach einem Klettergurt. Den will ich jetzt doch haben, um eine mögliche Rettung aus einer Gletscherspalte zu vereinfachen. Im Tausch gegen meinen Führerschein leihe ich mir den.
Im Gegensatz zu den Berichten im Netz bietet das Refuge genug Platz. Der Eingangsbereich ist ausreichend, um sein Material für die Besteigung in Plastikboxen zu verstauen. Die Schlafsäle sind geräumig. Ich bin sehr zufrieden mit der Wahl.
Erster Blick auf das Grand Couloir
Da es in der Nacht um 2 Uhr im Dunklen losgeht, verschaffe ich mir einen Überblick über den Weg bis zum Grand Couloir. Von der Hütte geht es an Zelten vorbei und links an der Rippe hoch. Man kann sich hier gar nicht verlaufen, denke ich. Denn ein Blog-Autor berichtet, wie er sich hier schon verklettert habe. Was ein Nonsens.
Die Querung des Grand Couloirs erkenne ich sehr leicht. Ein Drahtseil ist gespannt, das aber hoch und weit weg ist. Darunter führen zwei Pfade durch den Schutt. Auf der anderen Seite ist der Zustieg für die Kletterei zum Refuge du Goûter (3.835 m) zu erkennen. Oben sehe ich das silberne „Ei“. Alles easy.
Aber dann geht der Steinschlag los. Große Steine fallen die Rinne herunter und nehmen andere Steine mir. Da rutscht mir das Herz in die Hose. Eine Gefahr, die zwar in der Kälte der Nacht minimiert ist, aber zu einem bösen Treffer werden kann.
Zurück im Tête Rousse bereite ich alles für die Nacht vor, buche mein Halbzwei-Frühstück für 12 Euro und chille. Die Hütte füllt sich…
2:00 Uhr: Auf zum Gipfel des Mont Blanc
Um 1:20 Uhr klingelt mein Wecker. Ich bin schon lange wach. Die Gruppen nesteln seit 1:00 Uhr herum. Das Bergsteigerfrühstück beinhaltet den schlechtesten Kaffee aller Zeiten, einer Scheibe Brot, Saft, Müsli und Zitronenkuchen.
Um 2:00 Uhr gehe ich pünktlich los. Mir reicht eine dünne Regenjacke über dem Funktionsshirt, da es mit -5° Celsius warm genug ist. Die ersten Lichter haben schon das Gran Couloir gequert.
Zügig erreiche ich ebenfalls das Drahtseil. Es kommt kein Stein. Ein Sprint und ich stehe auf der anderen Seite. Jetzt beginnt die Kletterei im I. und II. Grad. Im Lichtkegel der Stirnlampe verliere ich manchmal den Weg und klettere auch über Bruch hoch. Könnte dann manchmal ein III. Grad sein. Aber ich fühle mich sicher.
Nach gut einer Stunde sehe ich eine Leiter und ein Gitter. Das war es schon. Jetzt geht es am Refuge du Goûter auf den Gletscher. Steigeisen und Klettergurt anziehen, Eispickel in die Hand. Vamos!
Gletscher ab dem Refuge du Goûter
Es macht Spaß auf dem knirschenden Eis zu gehen. Der breite Weg ist im Dunkeln gut zu erkennen. Leichte Aufschwünge, die nicht viel Kraft kosten. Ich überhole die ersten Seilschaften.
Dann folgen meine persönlichen Herausforderungen: Schmale Grate, die nach rechts und links steil abfallen. Konzentriert setze ich Schritt für Schritt. Und ich werde sicherer und sicherer. Im Gegensatz zu bisherigen Touren, die wir angeseilt gegangen sind, geht es mir allein besser. Ein Seil kann auch nerven.
Als um 5:30 Uhr die Sonne aufgeht, bin ich allein auf 4.200 Meter. Dieser Moment ist intensiv. Ich mache eine Pause, trinke und esse was. Vor mir sehe ich das nächste Zwischenziel, das Vallot-Biwak auf 4.362 m.
Noch 500 Höhenmeter ab dem Vallot-Biwak
Der Weg zum Biwak ist vereist. Es gilt, noch konzentrierter zu steigen. Angekommen muss ich mich wärmer anziehen. Ein scharfer Wind weht ab jetzt. Und es geht weiter über schmale Grate, an denen ich überholen muss. Aber meine Trittfestigkeit nimmt zu. Ich eile hoch.
Gegen 7:30 Uhr stehe ich nach einem gut 5,5 Stunden Aufstieg auf dem Mont Blanc. Etwas verwundert bin ich, da meine Garminwatch nur 4.715 Meter anzeigt. Rund 100 Meter fehlen. Aber da es nicht weitergeht, frage ich kurz einen Bergführer und der bestätigt mir: „Yes, this is the summit.“ Ich bleibe ein paar Minuten, genieße den Ausblick über das wunderbare Panorama und steige ab.
Konzentrierter Abstieg
Jetzt gilt es, nur keine Fehler zu machen, wenn die Anspannung abfällt. Dazu kommt ein zweites Problem: Im Dunklen sieht man nicht, wie weit man abstürzen kann und wie nah die Gletscherspalten sind. Daher gilt für mich zunächst: Step-by-step. Aber auch hier werde ich sicherer und laufe auch die direkten Wege runter. Was eine Freude!
Entspannt komme ich am Refuge du Goûter an. Dran vorbei, Steigeisen ablegen, Eispickel verstauen und abklettern. Jetzt sehe ich die roten Punkte des Weges, die ich im Dunklen nicht gesehen habe. Ich habe es mir offensichtlich etwas schwer gemacht. Aber leicht kann jeder, lache ich.
Am Grand Couloir fallen die Steine. Vorsichtig warte ich am Rand. Ich lausche. Und los geht es über den Sand. Fast rutsche ich an einer vereisten Stelle weg. Auf der anderen Seite angekommen, freue mich.
Das war’s. Eine tolle Tour. Das erste Mal selbstständig. Alles war bewusster und intensiver, als einfach einem Führer hinterherzulaufen.
Stolz in Les Houches
Nach 9,5 Stunden bin ich zurück im Refuge. Ich gönne mir ein weiteres Tiramisu, packe alles zusammen und steige um 13:00 Uhr ab. Erneut sind es 2.200 Höhenmeter nach Les Houches. Der ganze Weg zurück. Die Knie schmerzen, insgesamt sind es an diesem Tag 3.800 Höhenmeter im Abstieg. Aber ich muss mich beeilen. Mein Zug fährt um 17:30 Uhr nach Genf.
Um 16:30 Uhr erreiche ich mein Hotel. Dort darf ich noch duschen. Das ist auch besser für die anderen Bahngäste.
Als ich im Zug sitze, macht sich Stolz in mir breit. Diese Besteigung bleibt ein besonderes Erlebnis für mich. Das erste Mal allein auf so einem Berg gewesen zu sein, ist intensiver und bewusster.
Vergleich Elbrus vs. Mont Blanc
Im Vergleich zum Elbrus, dem höchsten Berg Europas im Kaukasus, ist die Besteigung körperlich einfacher. Die Kletterei und Aufschwünge sind weniger intensiv und lang.
In der Gipfelnacht zum Elbrus-Westgipfel sind es 1.800 Höhenmeter von der Nordseite, am Mont Blanc 1.600 Höhenmeter. Das macht sich bemerkbar. Dafür gibt es am Elbrus keine ausgesetzten Stellen und Grate, auch kann ich mich nicht an Gletscherspalten erinnern. Aus meiner Sicht fordert der Mont Blanc die Psyche stärker als der Elbrus. Aber man kann ja beides machen.
Die Galerie der Tour zum Mont Blanc:
Sehr geil, motiviert, den Weg ebenfalls zu gehen.